Logo der Fernsehlotterie

Frau Brinkmann taucht ab: Virtual Reality in der Seniorenwohnanlage

Mit dem ExerCube hat jetzt ein innovatives VR-Erlebnis Einzug in eine Hamburger Seniorenwohnanlage gefunden.

Virtual-Reality-Games – das heißt temporeiche Action für junge Leute? Nicht nur! Denn mit dem ExerCube hat jetzt ein innovatives VR-Erlebnis Einzug in eine Hamburger Seniorenwohnanlage gefunden. Das Besondere: Diese virtuelle Realität kommt ganz ohne VR-Brille aus. Wie kann das gehen? Und wie können ältere Menschen von dieser neuartigen Spielekonsole profitieren? Wir haben das von uns mit 100.000 Euro geförderte Projekt im Hamburger Nordosten besucht und durften beim allerersten Testlauf dabei sein.

Helene Brinkmann sitzt auf einem schmalen Stuhl und wartet. Worauf, das weiß die 84-Jährige gar nicht so genau. Nur, dass es um ein neues Videospiel geht – und sie die erste ist, die es testen darf.

Die Seniorin lebt im „Heilig Geist am Alsterlauf“, dem Stammgelände der gemeinnützigen Stiftung Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel mit einer Vielzahl an Wohnformen, Betreuungs- und Freizeitangeboten. Die Stiftung hat jahrhundertelange Tradition, steht seit fast 800 Jahren im Dienste alter, bedürftiger und kranker Menschen – und ist gleichzeitig Innovationsführerin im Bereich der Altenpflege: Nach der MemoreBox, einer Videospielkonsole für Seniorinnen und Senioren, holt das Hospital zum Heiligen Geist mit unserer Hilfe eine weitere Gaming-Neuheit in die Seniorenwohnanlage: den ExerCube.

Virtuelle Realität ohne VR-Brille: Training für Körper und Geist

Der englische Begriff „Cube“ bedeutet „Würfel“ – und so ist das Game-Setting auch aufgebaut: Der oder die Spielende steht in einem zur Rückseite geöffneten, riesigen Würfel, ist also vorne, links und rechts von jeweils 2,80 Meter hohen Wänden umgeben. Diese dienen als Projektionsfläche – die virtuelle Welt des Spiels wird auf allen drei Wänden dargestellt – und gleichzeitig Benutzeroberfläche, mit der die oder der Spielende durch Berührung interagiert. Über diese Bewegungen wird das Spiel gesteuert und währenddessen Ausdauer, Kraft und Flexibilität der spielenden Person gefördert. Die zusätzliche kognitive Herausforderung, die durch verschiedene audiovisuelle und spielmechanische Signale vermittelt wird, macht den ExerCube zu einem ganzheitlichen Körper- und Gehirntraining. „Der ExerCube ist wie eine virtuelle Realität, nur ohne VR-Brille, denn Sie treten einfach hinein“, erklärt Michael Kröger, Vorstand der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist.

Helene Brinkmann steht mit ausgebreiteten Armen im ExerCube, der aus drei ca. 2 Meter hohen und 2,50 Meter tiefen Wänden besteht und nach vorne hin geöffnet ist.

Helene Brinkmann schreckt dieses futuristische Game-Setting nicht ab. Die 84-Jährige hat bereits umfangreiche Erfahrung mit Videospielen gesammelt: „Ich habe schon eine Virtual-Reality-Brille benutzt“, erzählt sie, während sie auf ihren Einsatz am ExerCube wartet. „Da musste man dirigieren und dabei die Linie halten, sonst gab es Misstöne.“ Die untere Hälfte ihres Gesichts wird von einer medizinischen Maske verdeckt, an ihren nun leicht zusammengekniffenen Augen ist es aber zu erkennen: Sie lächelt. Auch an der MemoreBox habe sie schon öfter gespielt, erzählt die Seniorin weiter. Die MemoreBox wurde vor fünf Jahren im Hospital zum Heiligen Geist eingerichtet – und ist eine Erfolgsgeschichte für die Senioreneinrichtung und das Unternehmen RetroBrain. Denn gemeinsam entwickelten sie das Konzept „Serious Games für ältere Menschen“ damals weiter. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Hospitals spielten dafür nicht einfach nur die therapeutischen Videospiele (erfahre hier mehr über den Einsatz und die Entwicklung der MemoreBox), sondern nahmen auch an einer Studie teil, die die präventiven und gesundheitsfördernden Aspekte des therapeutisch-computerbasierten Trainingsprogramms untersuchte. Heute ist die MemoreBox, deren Einrichtung wir im Hospital zum Heiligen Geist ebenfalls gefördert haben, als Medizinprodukt der Klasse I zertifiziert.

Michael Kröger trägt ein blaues Sakko und ein weißes Hemd. Er steht draußen und spricht, dabei gestikuliert er mit seinen Händen.

„Mit der Humboldt-Universität und RetroBrain haben wir die Konsole bis zu dieser Zulassung weiterentwickelt“, berichtet Michael Kröger. Noch immer sind im Hospital zum Heiligen Geist vier Boxen im Einsatz und inzwischen so etabliert, dass einige Bewohnerinnen und Bewohner auch ohne Unterstützung gemeinsam spielen können. „Man könnte die MemoreBox auch als ‚Einstiegsdroge‘ bezeichnen“, sagt Kröger schmunzelnd, „denn so sind wir mit Universitäten und anderen Projekten, die sich mit virtuellen Realitäten beschäftigen, in Kontakt gekommen.“ Um Innovationsführer in der Altenpflege zu bleiben, das war allen Beteiligten klar, muss man mitziehen – und auch neue Wege gehen. „Die MemoreBox trainiert mit leicht auszuführenden Gesten gezielt Rumpfmuskulatur, Koordination und Gleichgewicht sowie das Gedächtnis und die Auffassungsgabe“, erklärt der Stiftungsvorsitzende. „Dafür ist es nicht notwendig, eine Bewegung ganz gezielt zu machen. Für den Reha-Sport aber ist das ganz wichtig – und da kommt der ExerCube ins Spiel. Denn hier haben die Spielenden Motion-Tracker an den Armen und Beinen. So sieht das Spiel ganz genau, welche Bewegungen ausgeführt werden und der betreuende Physiotherapeut kann genau korrigieren.“

Und so ergänzen zukünftig zwei ExerCubes das Reha- und Fitness-Angebot im Hospital zum Heiligen Geist. Das erste Spiel der Konsole heißt „Sphery Racer“ und nimmt die Spielenden mit auf ein Sci-Fi-Rennen unter Wasser. Dort kennt sich Helene Brinkmann aus: In jungen Jahren war sie Mitbegründerin eines Tauchclubs in Norderstedt. „Ich war oft auf den Malediven schnorcheln“, erzählt sie. „Damals, als noch nicht so viele Touristen da waren und man nur über Sri Lanka auf die Insel kam.“ Dort schwamm sie zwischen bunten Fischen, Korallen und Haien. „Das mache ich schon lange nicht mehr. Aktiv und abenteuerlustig bin ich aber immer noch“, sagt die 84-Jährige und fügt lachend hinzu: „Solange man mich nicht auf Berge schickt!“ Dann ist es soweit: Der ExerCube ist bereit für den ersten Test!

Der ExerCube verbindet – egal, welche Voraussetzungen ein Mensch hat

Der Raum, in dem die beiden Cubes in den vergangenen Wochen aufgebaut wurden, ist noch nicht fertig eingerichtet. Möbel fehlen, der Fußboden ist auch noch nicht da, es riecht nach frischer Farbe. Für die Installation der Spielgeräte wurde das ehemalige, ungenutzte Schwimmbad des Hospitals zum Heiligen Geist komplett umgebaut. „Wir merken seit Monaten, dass wir Materialengpässe haben“, erklärt Innovations- und Projektmanager Nizar Müller. „Das ist eine weltweite Entwicklung und ein großes Problem für uns. Wir wollten etwas haben, das die Menschen schon unmittelbar nach dem harten Lockdown nutzen können – und jetzt wurden wir Monate zurückgeworfen.“ Dass die Cubes jetzt endlich stehen, ist eine große Erleichterung. „Auch wenn noch nicht alles perfekt ist, wollen wir jetzt schon einmal mit den Probeläufen beginnen, damit wir im Herbst dann soweit sind, um das Angebot für alle zu öffnen.“

Helene Brinkmann steht vor dem auf die ExerCube-Wand projizierten Computerspiel, streckt den rechten Arm nach vorn. Sie trägt eine Maske, am Handgelenk ist ein Motion-Tracker angebracht.

Und mit „alle“ sind wirklich alle gemeint – nicht nur die Menschen, die im „Heilig Geist am Alsterlauf“ leben, sondern auch die im Quartier drumherum. „Alle Nachbarinnen und Nachbarn sollen das Angebot nutzen können“, sagt Michael Kröger. „Wir streben auch eine Kooperation mit den Sportvereinen vor Ort an.“ Nizar Müller ergänzt: „Wir möchten natürlich auch Generationen verbinden. Wenn der Großvater hier lebt und die Enkel oder Ur-Enkel vorbeikommen, können sie gemeinsam ExerCube spielen. So können sie Gemeinschaft noch einmal ganz anders erleben.“

Aber ist ein gemeinsames, für alle Beteiligten positives Spielerlebnis überhaupt möglich, wenn die Spielenden so unterschiedliche Voraussetzungen haben? Ja – denn der ExerCube passt sich an die individuelle Fitness und die kognitiven Fähigkeiten der Spielenden an. „Man kann auch den Bewegungsradius und die Geschwindigkeit einstellen, zum Beispiel, wenn ein Senior auf den Rollstuhl angewiesen ist“, erklärt Michael Kröger. „Der muss dann eben nicht hochspringen und mit der Hand den Punkt an der Ecke antippen, sondern einen Punkt, der für ihn erreichbar ist. Und sollte er sich nach und nach verbessern, muss er dann eben den Punkt fünf Zentimeter weiter oben erreichen und alles läuft eine Sekunde schneller.“

Helene Brinkmann steht im ExerCube. Sie steht auf dem linken Bein, das rechte hat sie von sich gestreckt. Mit der linken Hand berührt sie die Wand des ExerCubes.

Feedback der „Silver-Gamer“ ist wichtig für die Spiel-Evolution

Helene Brinkmann hat die Motion-Tracker inzwischen an ihren Füßen und Handgelenken befestigt. Jetzt ist sie bereit, ein weiteres Mal abzutauchen – diesmal allerdings in eine virtuelle Unterwasserwelt. Die 84-Jährige steht mit ausgebreiteten Armen in der Mitte des Cubes und folgt den Anweisungen der Spielfigur, die sie auf der Wand vor sich sieht. Diese rast über eine Rennstrecke und passiert dabei verschiedene motorisch-kognitiv herausfordernde Hindernisse, auf die Helene Brinkmann reagieren muss. Dabei schaut sie sich immer wieder um und stellt schließlich scherzend fest: „Als ich noch getaucht bin, sah es unter Wasser aber anders aus.“ Projektmanager Nizar Müller stimmt ihr zu: „Es braucht Fantasie, um zu erkennen, dass es eine Unterwasserwelt sein soll. Es ist schon eher futuristisch, da ist noch Potenzial für Spiele, die näher an der Lebensrealität älterer Menschen dran sind.“ Die Entwicklerfirma Sphery plant bereits weitere Spiele, will auch das Feedback der „Silver-Gamer“ in die Evolution einfließen lassen. Schon jetzt stehen Projektmanager Nizar Müller und seine Kolleginnen und Kollegen mit den Gamedesignern im engen Austausch. „Sie arbeiten unter anderem an einem Spiel mit Entspannungsübungen. Das finden wir sehr interessant, denn das richtige Atmen ist für Menschen im Alter essenziell“, so Müller.

Das Hospital zum Heiligen Geist ist die erste Seniorenwohnanlage in Deutschland, die den ExerCube – der ursprünglich für den Einsatz in Fitnessstudios konzipiert wurde – als Reha-Fitnessgerät für ältere Menschen anbietet. Wie bei der MemoreBox findet auch bei diesem Projekt nicht nur ein enger Austausch mit den Entwicklerinnen und Entwicklern statt, sondern auch eine wissenschaftliche Begleitung: auf Seiten von Sphery durch die Zusammenarbeit mit Hochschulen in der Schweiz, Deutschland und Großbritannien; im Hospital zum Heiligen Geist durch eine Studierende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Helene Brinkmann hält die Arme angewinkelt, an den Handgelenken trägt sie die schwarzen Motion-Tracker.

Helene Brinkmann hat den allerersten Testlauf des ExerCubes nun hinter sich. Eines hat der aktiven Seniorin besonders gut gefallen: „Dass man die Übungen im Stehen macht, finde ich toll. Bei der VR-Brille musste ich sitzen, was in dem Fall bestimmt sicherer ist, aber so macht es mir viel mehr Spaß.“

Nach der nun anlaufenden Testphase, in der mehrere Personen in physiotherapeutischer Begleitung mit dem ExerCube spielen werden, geht es Ende September richtig los. Dann kommen hoffentlich viele Menschen aus dem Hospital zum Heiligen Geist und dem umliegenden Quartier und füllen das ehemalige Schwimmbad wieder mit Leben. „Ich bin auf jeden Fall mit dabei“, sagt Helene Brinkmann – und unter ihrer Maske deutet sich erneut ein Lächeln an.

Hospital zum Heiligen Geist

Das Hospital zum Heiligen Geist ist mit fast 800 Jahren die älteste Stiftung Hamburgs. Besonderen Wert wird hier darauf gelegt, dass Seniorinnen und Senioren nicht nur Raum zum Wohnen geboten wird, sondern zum Leben – mit der ganzen Vielfalt, die eine Stadt ausmacht: Es gibt Geschäfte, Ärzte, Kirche, Festsaal, Internet-Café, Bibliothek und vieles mehr, eingebettet in eine grüne Parklandschaft.

Ab etwa Ende September ergänzt das von der uns angeschlossenen Stiftung Deutsches Hilfswerk mit 100.000 Euro geförderte Virtual-Reality-Angebot mit den beiden ExerCubes das Physiotherapie, Sport- und Freizeitangebot des Hospitals – nicht nur für die dort lebenden Seniorinnen und Senioren, sondern für alle Nachbarinnen und Nachbarn im umliegenden Quartier.

Übrigens: Das große Potenzial von Virtual-Reality-Brillen in der Medizin, wie etwa die Linderung von Angstgefühlen während einer Behandlung, wird derzeit in einem von uns geförderten Pilotprojekt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München erforscht. Hier erfährst du mehr darüber.

Du möchtest uns helfen, innovative soziale Projekte wie diese und viele weitere zu fördern? Das geht ganz einfach: mit einem Los. 

Miteinander im Viertel

Autorin

Katharina Hofmann

Fotograf

Nouki (Jan Ehlers)

Weitere spannende Artikel

Alltagshelden für Alte

Aktivierung schützt vor Demenz. Darum besuchen die „Grünen Damen und Herren“ in Hamm einsame Senioren, damit sie geistig fit bleiben.

Mehr erfahren

Hallo Nachbar! Lust auf einen Kaffee?

Das Garten-Café in Münster ist Treffpunkt für Nachbarn: Beim Klönen über den Kuchentellerrand entsteht hier ein neues Wir-Gefühl im Viertel.

Mehr erfahren

Rausgehen, dreckig machen – und die Sorgen vergessen

30 Kinder aus ärmeren Familien erlebten 2019 eine kostenlose Ferienwoche im Paradies: der Beaumont Farm in Mecklenburg-Vorpommern.

Mehr erfahren

Alt und queer: „Wir brauchen mehr Empathie in der Pflege“

Dieter Schmidt von der Schwulenberatung spricht über Diskriminierungen, Repressionen und die Angst von LSBTI* vor der Pflegebedürftigkeit.

Mehr erfahren

Frau Brinkmann taucht ab: Virtual Reality in der Seniorenwohnanlage
Diskutieren Sie mit!

Noch 500 Zeichen möglich.

0 Kommentare