Gut beraten ins Studium
Leben finanzieren, Studium meistern, Praktikum ergattern: Das können bereits große Hürden sein für Kinder, deren Eltern selbst nicht studiert haben. Bei Arbeiterkind.de greifen ihnen Mentoren unter die Arme, die das Gleiche erlebt haben.
“Wenn man als Erste aus der Familie studiert, muss man sich vieles selbst erarbeiten, wofür Akademikerkinder oft die Unterstützung der Eltern haben”, sagt Eva Busemann. Die junge Frau mit dem blonden Zopf erinnert sich noch gut daran, wie es war, als Tochter aus einem Nicht-Akademiker-Haushalt an die Universität zu kommen. Mittlerweile ist sie selbst Dozentin. An diesem Abend sitzt sie im Café Albatros nahe der Frankfurter Universität. Draußen trommelt Regen auf die Scheiben; ein Tag, um zuhause zu bleiben. Trotzdem schlüpfen immer wieder Menschen durch die Eingangstür und schauen suchend nach dem Tisch mit dem roten Wimpel: dem Stammtisch von “Arbeiterkind.de”.

Wenn man als Erste aus der Familie studiert, muss man sich vieles selbst erarbeiten, wofür Akademikerkinder oft die Unterstützung der Eltern haben.
Während alle anderen die nassen Jacken verstauen und ihre Bestellungen aufgeben, erzählt Eva Busemann, wann sie diesen Unterschied im Studium besonders gespürt hat: “Das geht schon damit los, das ganze System Universität zu verstehen”, sagt sie. Ihre Eltern konnten ihr dabei oft nicht helfen. Eva Busemanns Mutter ist Gymnastiklehrerin, ihr Vater war Bademeister. “Wenn ich meinen Eltern eine Hausarbeit gezeigt habe, sagten sie nur: toll, super!”, erinnert sie sich. Und auch später bei der Jobsuche konnten sie nur bedingt weiterhelfen. “Denn meine Eltern haben keine Ahnung davon, was es heißt, sich bei einem Großunternehmen zu bewerben und welche Vorbereitungen man am besten für Vorstellungsgespräche trifft.”


Alles begann mit einem Aufenthalt in Amerika
So wie Eva Busemann ging es auch Katja Urbatsch, die Arbeiterkind.de im Jahr 2008 gegründet hat. Ellen Herzog, die den Stammtisch an diesem Abend organisiert, erzählt von der Entstehungsgeschichte: Inspiriert habe Urbatsch ein Studienaufenthalt in Amerika, wo sie erlebte, dass der Bildungsaufstieg von Nicht-Akademikerkindern vielmehr anerkannt, ja regelrecht gefeiert wurde – ganz anders als in Deutschland. Die Website Arbeiterkind.de war von ihr zunächst nur als Informationsplattform gedacht, entwickelte sich jedoch schnell durch bürgerliches, ehrenamtliches Engagement weiter. Mittlerweile hat sie rund 10.000 registrierte Nutzer, 75 Ortsgruppen haben sich in ganz Deutschland gegründet. Eine davon ist in Frankfurt, wo die Ehrenamtlichen einmal im Monat einen Stammtisch anbieten, um Fragen zu beantworten und sich untereinander auszutauschen.
An diesem Abend versammeln sich rund zehn Personen im Frankfurter Nordend. Manchmal werden es sogar 20, dann müssen Tische zusammengeschoben werden. Wer hierherkommt, hat oft dieselben Fragen: Manche wollen etwas über das Studieren erfahren, andere über die Finanzierung, und wieder andere suchen einen Ansprechpartner für Nachhilfe oder einen Mentor, der sie für ein Stück ihres akademischen Weges begleitet.
Info
- Was für Sprösslinge aus Akademikerhaushalten selbstverständlich ist, kann für den Nachkommen einer Krankenpflegerin und eines Busfahrers eine größere Hürde sein. Studium finanzieren, Wohnung suchen, Vorstellungsgespräche führen: In der Initiative „Arbeiterkind.de“ hilft dabei ein Mentor. Jemand, der selbst gerade erst den Aufstieg durch Bildung geschafft hat und die Anlaufschwierigkeiten aus eigener Erfahrung kennt. Vielen Dank an die bundesweit rund 6000 Ehrenamtlichen!
- Du hast ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen und fragst Dich, ob es förderfähig ist? In unserer Checkliste findest Du erste Informationen.



Manche wollen sich auch selbst engagieren, so wie Victor Kumrein. Er schreibt gerade an seiner Masterarbeit in Soziologie und hat bei einem Vortrag während eines Seminars von Arbeiterkind.de gehört. Er kommt selbst aus einer Nicht-Akademiker-Familie, sein Vater ist Haustechniker, seine Mutter Hausfrau und stammt aus Ecuador. Victor Kumrein kennt das Problem, dass die eigenen Eltern bei Fragen zum Studium nicht sonderlich helfen können, sei es beim BAföG-Antrag oder bereits bei der Auswahl eines Studienfachs. Dass Victor Kumrein obendrein im Baden-Württembergischen Hohenlohe aufgewachsen ist, machte seinen Weg nicht leichter. “In dieser ländlichen Region gibt es kaum Angebote, die auf Universitäten und Studiengänge aufmerksam machen”, sagt er. Von seinen Mitschülern am Wirtschaftsgymnasium hätten sich viele deshalb direkt um eine Ausbildung beworben, ohne überhaupt die Möglichkeit eines Studiums in Betracht zu ziehen.
Auch Kumrein hatte bereits einen Vertrag für eine dreijährige Ausbildung vorliegen, suchte sich dann aber in Eigeninitiative einen Studienplatz für Soziologie. Über diese Erfahrung will er in seiner Heimatregion an Schulen sprechen, um anderen die Möglichkeiten zu zeigen, die er sich selbst erarbeiten musste. “Dann schau doch einfach am Freitag bei uns vorbei, da halten wir an einer Schule in Offenbach genau über dieses Thema einen Vortrag”, mischt sich Benjamin Beckmann von der anderen Seite des Tisches in das Gespräch ein. Er arbeitet schon seit einigen Jahren ehrenamtlich bei Arbeiterkind.de. Victor nickt begeistert.

Die Sache mit dem Geld
Bei solchen Vorträgen beantworten die Ehrenamtlichen von Arbeiterkind.de regelmäßig Fragen von jungen Leuten, die sich bald entscheiden müssen, was sie nach der Schule machen. “Die meisten wollen wissen, wie das mit dem Studium überhaupt abläuft, was sie eigentlich alles studieren können und vor allem, wie das mit der Finanzierung klappt”, sagt Benjamin Beckmann. Denn wenn die Eltern ihre Kinder nicht aus eigener Tasche unterstützen können, muss das Geld für Miete, Essen und Lernmittel aus anderen Quellen kommen. Die Organisation hilft bei der Suche nach passenden Stipendien und manchmal auch beim Antragstellen.
Geld ist immer wieder ein großes Thema, auch an diesem Abend beim Stammtisch. Jeder zweite hier beim Stammtisch hat neben dem Studium noch gearbeitet, um alles zu finanzieren. “Einmal habe ich ganz deutlich gemerkt, dass das Geld nicht reicht”, erinnert sich Benjamin Beckmann. Er stammt ursprünglich aus Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Seine Mutter ist Köchin, sein Vater arbeitete als Schweißer auf einer Werft. Mit acht Jahren hatte Beckmann angefangen zu programmieren. Ihm war schnell klar, dass er Informatik studieren will. “Damals musste ich mich zwischen einem Studienplatz in Berlin oder Karlsruhe entscheiden. Und Karlsruhe hätte ich mir nicht leisten können”, sagt er.

Ich möchte gern vermitteln, dass man das alles mit etwas Gelassenheit und der richtigen Unterstützung meistern kann.
Mit dem Informatik-Studium hatte er nach wenigen Semestern auch gehadert. Es folgte ein kurzes Intermezzo als Lehramtsstudent. Am Ende machte er ein duales Studium bei der KfW-Bank und schloss es ab. Seit er vor ein paar Jahren mit seiner Frau nach Frankfurt gezogen ist, engagiert er sich ehrenamtlich bei Arbeiterkind.de. Es seien besonders solche persönlichen Geschichten, die die Schüler bei seinen Vorträgen beeindruckten, sagt er. “Mein Fall ist vielleicht besonders speziell und ich hatte auch viel Glück”, sagt er. “Aber ich möchte gern vermitteln, dass man das alles mit etwas Gelassenheit und der richtigen Unterstützung meistern kann.”
Was können wir noch tun, um Menschen aus bildungsfernen Milieus den sozialen Aufstieg zu ermöglichen?