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Ein Dorf lebt auf

Elte im Münsterland ist schön, teilt aber die strukturellen Sorgen vieler kleiner Orte. Die Initiative „Dorf.Land.Zukunft“ schaffte den Aufwärtstrend: Nun verkauft die Tankstelle Lebensmittel aus der Region, die Busse fahren öfter und vielleicht gibt es bald sogar Co-Working?

Der Mann mit den großen Ideen für Elte hat pinke Fingernägel und unter der randlosen Brille erkennt man den Kajal um die Augen. „Das ist nicht mein übliches Outfit“, sagt Frank Wältring und entschuldigt sich für seine brüchige Stimme. Das seien die Folgen des Schützenfests, erklärt er, denn nach tagelangem Feiern sei er beim traditionellen „Hexen“ zum Festabschluss zur Hexenkönigin bestimmt und entsprechend herausgeputzt worden.

Ein Mann mit randloser Brille und weißem T-Shirt blickt lächelnd nach unten.
Die Menschen spürten: Wenn die Schule stirbt, dann stirbt das Dorf.
Frank Wältring, Mitgründer der Initiative "Dorf.Land.Zukunft"

Die Spuren des Schützenfests sind an diesem hochsommerlichen Tag in Elte noch überall zu sehen. Keine Straße, die nicht mit grün-weißen Wimpeln geschmückt ist in dem Fachwerkdorf im Münsterland. Elte ist ein Ort mit Tradition. Die Ludgerus-Schützengilde aus dem Jahr 1478 vereint 650 Schützenbrüder unter ihrem Dach – und das bei nur 2200 Einwohnern. Wenn der Festzug mit den Schützenpaaren durch die Straßen zieht, ist das ganze Dorf auf den Beinen.

Den Abwärtstrend umkehren

Doch all die schönen Wimpel und stolzen Schützen können nicht überstrahlen, dass Elte mit so manchem Problem zu kämpfen hat. Viele Geschäfte gibt es hier nicht mehr; einen Arzt oder eine Apotheke sucht man vergebens. Die älteren Bewohner treibt die Angst um, dass sich niemand um sie kümmert, wenn sie gebrechlich werden. Und im Jahr 2012 hätte fast die Grundschule geschlossen, weil es in Elte viel weniger Kinder gibt als früher.

„Dass die Schule vor der Schließung stand, war ein Warnschuss”, erinnert sich Frank Wältring. „Die Menschen spürten: Wenn die Schule stirbt, dann stirbt das Dorf.“ Eltern, Lokalpolitiker und Vereine schlossen sich zusammen und protestierten – mit Erfolg: Auch heute werden in Elte noch Kinder unterrichtet.

Ein Mann mit Schildkappe und Brille blickt auf eine Schautafel vom Rundwanderweg rund um das Dorf Elte.
Eine alte Mühle mit Mühlrad an einem Weiher.
Ein Pferd steht vor einem kleinem Häuschen auf einer Wiese am Waldrand.

„Bei den Elteranern kam das Gefühl auf: Wenn wir uns zusammentun, können wir etwas erreichen.“ Wältring, der als freiberuflicher Wirtschaftsberater arbeitet, packte die Gelegenheit beim Schopf und berief im Mai 2013 eine Dorfkonferenz ein. Dort ging es nicht mehr allein um die Schule, sondern um große Fragen: Wie kann es für Elte in Zeiten demografischen Wandels eine Zukunft geben? Und wie wollen wir diese Zukunft gestalten?

Es kamen Elteraner zwischen 17 und 80 Jahren, und sie sprudelten über vor Ideen und Tatkraft. Die Initiative „Dorf.Land.Zukunft“ war geboren, noch am gleichen Abend bildeten sich Projektwerkstätten zu den Themen, die Eltes Bewohner beschäftigen: Wohnen im Alter, Mobilität, Nahversorgung, Kinder und Jugend und viele andere.

Jeder Vorschlag ist erwünscht.

Seither hat sich viel getan in Elte. Der Bus in die nächstgrößere Stadt Rheine fährt nun zweimal stündlich, es gibt wieder ein Lebensmittelgeschäft im Dorf, in der Kirche finden Kino-Abende statt und zum generationsübergreifenden Singen trifft man sich in der Kneipe. Und was vielleicht noch viel wichtiger ist: „Es wird wieder mehr miteinander geredet im Dorf“, sagt Karin Kühling aus dem Vorstand von Dorf.Land.Zukunft.

Info

  • Elte gehört zur Stadt Rheine in Nordrhein-Westfalen und hat etwa 2200 Einwohner. Das Fachwerkdorf betreibt eine der wenigen nicht-motorisierten Flussfähren Deutschlands.
  • Der Verein „Dorf.Land.Zukunft“ berät regelmäßig über die Entwicklung der Dorfgemeinschaft und die Infrastruktur von Elte. Für die bisherigen Leistungen wurde die Initiative mit dem Bürgerpreis des Kreises Steinfurt ausgezeichnet sowie für den Deutschen Engagementpreis 2015 nominiert.
  • In 2015 konnte die Deutsche Fernsehlotterie allein in Nordrhein-Westfalen 50 soziale Projekte und Einrichtungen mit über 10,6 Mio. Euro fördern. Suchst auch Du für Dein Projekt nach Unterstützung? In unserer Checkliste findest Du Informationen zu den Förderkriterien.

Wie hat die Initiative es geschafft, dem Dorf wieder Leben einzuhauchen? „Die aktiven Menschen waren ja schon vorher da, auch das Engagement der Vereine. Wir haben das alles nur zusammengebracht“, sagt Wältring. Wichtig sei die Offenheit und Flexibilität der Initiative: „Viele wollen sich heute nicht auf Dauer an einen Verein binden.“ Bei „Dorf.Land.Zukunft” ist jeder eingeladen, seine Ideen einzubringen und mitzumachen, auch wenn es nur für ein einzelnes Projekt ist.

Es wird wieder mehr miteinander geredet im Dorf.
Karin Kühling, Vorstandsmitglied von „Dorf.Land.Zukunft“

An einem Bächlein entlang und vorbei an drei Pferden geht es zur Tankstelle Homann, auf die das Dorf seit einiger Zeit besonders stolz ist. „Hallo Heinz, darfst du denn schon wieder Auto fahren?“, ruft Isabel Pludra einem Kunden zu, der gerade aus dem Auto steigt und beim Fest gestern Abend einige Bier getrunken hat. Heinz lacht, er will jetzt ein paar Dinge einkaufen. Dass er dafür nicht kilometerweit fahren muss, hat er auch „Dorf.Land.Zukunft“ zu verdanken.

Menschen auf dem Weg in eine Tankstelle.
Blick auf das Kühlregal einer Tankstelle, ein Mann holt Getränke heraus.
Ein Mann mit einer Baskenmütze steht vor einem Zeitschriftenregal und liest, ein anderer sitzt an einem Tisch und schaut in die Zeitung.

Die Projektwerkstatt Nahversorgung setzte sich nämlich dafür ein, dass man in Elte wieder Lebensmittel einkaufen kann. Während sie sich noch den Kopf darüber zerbrachen, wie man einen Dorfladen finanzieren könnte, kam Isabel Pludra auf die Initiative zu und schlug vor, den Laden in ihrer Tankstelle einzurichten. „Wir hatten gerade vor, umzubauen. Und da wir sowieso immer Personal vor Ort haben müssen, dachten wir: Die könnten doch auch gleich den Verkauf des Dorfladens übernehmen.“

Produkte aus der Region fördern

Jetzt kann man in der Tankstelle Nudeln, Milch und Zahnbürsten kaufen, aber auch Hühner- und Pferdefutter und sogar Eintöpfe im Weckglas vom Metzger aus dem Nachbardorf und Erdbeeren von den Höfen der Umgebung. Es kann sich also lohnen, einen Dorfladen privat zu betreiben, und durch die Kooperation mit den umliegenden Höfen wird auch die regionale Wirtschaft gestärkt.

Sieben Menschen sitzen an einem Tisch auf Polstermöbeln im Freien und unterhalten sich.
Ein Mann mittleren Alters mit einer Brille gestikuliert beim Sprechen.
Ein alter Mann im Karohemd hört einem anderen Mann zu und verschränkt die Arme.

Ein Erfolgsmodell, dem sich andere Tankstellen auf dem Land anschließen könnten? Frank Wältring liebt es, über solche Fragen nachzudenken. Am allerliebsten würde er das demnächst in einem Co-Working-Space tun, seinem nächsten Plan für Elte. „Man glaubt gar nicht, wie viele Freiberufler es auf dem Land gibt“, sagt er und gerät ins Schwärmen. „Wenn man deren Ideen an einem Ort zusammenbringen würde, was könnte daraus nicht alles entstehen!“

Ein ländliches Innovationslabor, in dem man Unternehmensideen austüfteln und über neue Projekte wie E-Car-Sharing für Elte nachdenken könnte, das ist sein Traum. Doch nun muss Wältring die Träumerei unterbrechen, denn die Pflicht ruft: Aufräumdienst nach dem Schützenfest.

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4 Kommentare

Peter (29) – 17.08.2016, 17:14 Uhr

Ich bin in Elte aufgewachsen und ich möchte hier auch alt werden! Die Initiative Dorf.Land.Zukunft hat meine volle Unterstützung! Denn wer selber nicht mit macht und nur zu sieht wie der Mühlenbach durch unser Dorf fließt, der darf sich am Ende auch nicht beschweren ???? Doch habe ich vollstes Vertrauen in unsere Dorfgemeinschaft das wir allen Widrigkeiten trozten werden ????????

Antworten
Peter (29) – 17.08.2016, 17:49 Uhr

Ich bin in Elte aufgewachsen, hier möchte ich eine Familie Gründen und in Elte alt werden! Darum hat die Initiative Dorf.Land.Zunkuft auch meine volle Unterstützung ???? Denn wer nur zu sieht wie unser Mühlenbach still durchs Dörfchen fließt, der darf sich am Ende auch nicht beschweren wenn nichts mehr passiert ????????

Antworten
Iris (36) – 20.08.2016, 11:40 Uhr

Nett geschrieben. Ein Fehlerchen: Rheine ist keine Gemeinde,sondern eine Stadt :) lg

Antworten
Redaktion 22.08.2016, 10:29 Uhr

Hallo Iris, wir haben Ihren Hinweis überprüft und festgestellt, dass wir beide Recht haben. Rheine ist kommunalrechtlich gesehen eine Gemeinde und steht auch im deutschen Gemeindeverzeichnis. Nichtsdestotrotz haben Sie natürlich Recht damit, dass Rheine auch eine Stadt ist. Um Missverständnissen vorzubeugen haben wir das jedoch nun geändert, da es im Prinzip in diesem Kontext keinen Unterschied macht :) Beste Grüße aus der Redaktion

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