Geschichten von Shlomo und Ayshe: Wie das jüdische Puppentheater „Bubales“ Brücken zwischen den Kulturen baut
Shlomit Tripp ist gelernte Kunstpädagogin und leitet hauptberuflich die Community Programme des Jüdischen Museums Berlin. 2011 gründete die Berlinerin mit jüdisch-türkischer Abstammung das jüdische und interkulturelle Puppentheater Bubales mit dem Ziel, jüdische Kinder zu empowern – und Brücken zwischen den Kulturen zu bauen. Wie ihr das gelingt, warum ausgerechnet Puppen das perfekte Medium für ihre Geschichten sind und wie das Publikum auf diese reagiert, erzählt Shlomit Tripp im Interview.
Deutsche Fernsehlotterie: Frau Tripp, vor zehn Jahren hat alles mit einem Puppenstück zum jüdischen Lichterfest Chanukka angefangen. Wie kam es dazu?
Shlomit Tripp: Zu Weihnachten gibt es immer viele Weihnachtspuppenstücke. Aber es gab bis dahin keine Shows zu Chanukka, das zeitgleich zur Weihnachtszeit stattfindet. Da kam von vielen jüdischen Familien die Frage auf, warum das so ist. Also habe ich 2011 im Jüdischen Museum Berlin die erste Puppenthater-Show mit dem Titel „Chanukka-Knatsch bei den Cohens“ produziert, die zwei Jahre lang lief und immer komplett ausgebucht war. Danach habe ich beschlossen, nebenberuflich das jüdische Puppentheater Bubales („buba“ heißt auf Hebräisch Puppe, auf Jiddisch heißt „bubale“ Liebling; Anm. d. Red.) zu gründen – und es schneiten schnell aus allen Ecken des Landes, auch von nicht-jüdischen Organisationen, Einladungen herein. Seitdem toure ich mit unseren Shows durchs ganze Land.
Deutsche Fernsehlotterie: Können Sie uns die Bubales einmal kurz vorstellen?
Shlomit Tripp: Zentrum ist die jüdische Familie Lotterstein mit ihrem kleinen, rothaarigen Shlomo und seinem humorlosen Schaf Mendel. Zur Familie gehören auch Mama Lotterstein und Papa Lotterstein, der einen blauen, legeren Trainingsanzug trägt, und der kleine Bruder Miki, der genau so einen Trainingsanzug anhat. Shlomos beste Freundin ist Ayshe, ein türkischstämmiges Mädchen, das sehr frech, aber auch sehr schlau ist. Eine süße Berliner Göre eben. Und dann gehört noch der Rabbi dazu, der ist immer zu Gast und rettet alle aus ihren ganzen Schlamassel-Situationen. Und dann kommen noch viele weitere Puppen dazu – wir haben ungefähr 40 oder 50 Stück aus all den Stücken. Sie alle haben unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Kulturen – das macht das Interkulturelle in unserem Puppentheater aus.

Deutsche Fernsehlotterie: Im Gespräch mit Moderatorin Shelly Kupferberg im Podcast #2021JLID, der anlässlich des diesjährigen Festjahres „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ produziert wird, sagen Sie, dass der interkulturelle Gedanke am Anfang keine vordergründige Rolle bei Bubales gespielt hat?
Shlomit Tripp: Das stimmt. Als ich mich vor zehn Jahren entschieden habe, das jüdische Puppentheater zu gründen, dachte ich in erster Linie an die jüdischen Kinder. Es ging mir darum, ihre jüdische Identität in einer christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft zu stärken, sie also zu empowern. Das Stück zu Chanukka war der Anfang. Aber es gibt noch viele weitere Feste und Traditionen. Zum Beispiel koscher essen. Dazu haben wir dann ein ganzes Stück gemacht, das „Die Koscher-Maschine“ heißt. Mir und dem Team der Bubales war es wichtig, dass es in Deutschland ein jüdisches Puppentheater gibt, das auch zu Deutschland gehört. Das bedeutet für uns auch Empowerment.

Deutsche Fernsehlotterie: Wie kam es, dass der interkulturelle Aspekt im Laufe der Zeit schließlich einen ebenso wichtigen Bestandteil der Geschichten eingenommen hat?
Shlomit Tripp: Wir hatten nicht damit gerechnet, dass uns nicht-jüdische Organisationen kontaktieren würden. Das passierte aber ziemlich schnell! Oft wurde uns berichtet, dass die Familien in ihren Gemeinden so gut wie nichts über die jüdische Kultur wissen und auch teilweise Vorurteile haben. Und die Bildungsangebote in diesen Ortschaften – verteilt über ganz Deutschland – hatten meistens nur mit der Shoah zu tun. Das ist ein wichtiges Thema, aber sicher kein gutes Thema für den Erstkontakt zur jüdischen Kultur bei Kindern und Familien. Für die Normalisierung der Beziehung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Menschen ist es aber wichtig, dass Kinder nicht schon im Grundschulalter Jüdinnen und Juden als Opfer assoziieren. Sondern dass sie das Judentum als eine fröhliche, ganz normale Kultur wie jede andere wahrnehmen. Deswegen wollten wir Stücke produzieren, zu denen auch nicht-jüdische Kinder und Erwachsene ohne Vorkenntnisse kommen können, richtig viel Spaß haben und auch etwas über die jüdische Kultur lernen.

Deutsche Fernsehlotterie: Inzwischen produzieren Sie sogar zweisprachige Stücke, etwa das deutsch-arabische Stück „Isaak und der Elefant Abul Abbas“. Wie kam es dazu?
Shlomit Tripp: Wir möchten auch Familien mit Migrationsgeschichte erreichen. Deswegen haben wir mit den zweisprachigen Shows angefangen und deswegen haben wir auch Puppen wie Ayshe. 2019 hatten wir mit „Isaak und der Elefant Abul Abbas“ viele Auftritte in Unterkünften für Geflüchtete. Es geht um Karl den Großen, der einen Elefanten aus Bagdad geliefert bekommt und der Lieferant ist ein Jude namens Isaak – eine wahre Geschichte. Anfang nächsten Jahres feiern wir dann unsere Premiere mit dem türkisch-deutschen Stück „Buraya-oraya! Hierhin-dorthin!“. Wegen Corona hat sich die Premiere um ein ganzes Jahr nach hinten verschoben. Wir freuen uns also sehr, dass es endlich so weit ist.
Isaak und der Elefant Abul Abbas
Das arabisch-deutsche Stück „Isaak und der Elefant Abul Abbas“ kann einmalig am 19. und 20. September zum Weltkindertag online angesehen werden. Hier geht es zum YouTube-Kanal der Bubales.
Deutsche Fernsehlotterie: Was war Ihre Inspiration für das neue deutsch-türkische Stück „Buraya-Oraya! Hierhin-Dorthin!“?
Shlomit Tripp: Es basiert auf einem Buch, das ich 2008 im Önel Verlag herausgebracht habe: „Alis wunderbarer Weg“. Für die Bühne haben wir die Geschichte ausgeweitet: Das Ganze beginnt nicht mit Ali, sondern mit Shlomo, der sich im Lernen des hebräischen Alphabets, dem Alef-Bet, schwertut. Shlomo ist total frustriert und geht zu Ayshe und erzählt ihr seine Sorgen. Sie sagt: „Mensch, Shlomo, du erinnerst mich an meinen Ur-ur-ur-Onkel Ali, der in Istanbul lebte.“ Und so machen wir in dem Puppentheater eine Zeitreise in das alte Istanbul und begegnen dort dem kleinen Ali, der sich ebenfalls schwertut beim Lernen des ABCs. Beide Jungs haben im Grunde also die gleichen Probleme, obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Kulturen und sogar aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern sind: Sie beide müssen Hausaufgaben machen, um das ABC bzw. das Alef-Bet zu lernen. Und auf diese Weise bringen wir die Kinder in unserem Bubales-Saal zusammen. Das Ganze wird von einem jüdischen und einem türkischen Musikerinnen- und Musiker-Team begleitet, die Kinderchore des türkischen Konservatoriums und der Oranienburger Synagoge werden singen. Die Texte werden während der Aufführung an die Wand projiziert, sodass mitgesungen werden kann und auch gehörlose Menschen ihren Spaß haben.
Shlomit Tripp: Wir werden von sehr unterschiedlichen Organisationen eingeladen, dazu gehören natürlich Synagogen und jüdische Gemeinden. Aber wir werden auch von Kirchen und Moscheen eingeladen. Ja, auch Moscheen laden uns ein! Und dann gibt es natürlich Schulen, sehr viele Kinderkultureinrichtungen, aber auch Flüchtlingsorganisationen. Ich bin sogar mal in einem abgelegenen Dorf aufgetreten, wo überall Kühe waren und ich wurde von dem kleinen Bahnhof mit einem Traktor abgeholt. Ich saß dann hinten in dem Anhänger mit meinem ganzen Equipment, mit der Puppentheaterbühne, und ratterte in dieses abgelegene Dorf. Das war ein Erlebnis! Es gibt also wirklich sehr, sehr unterschiedliche Menschen, die die Bubales zu sich einladen, und ich glaube, dass ist auch unser Erfolgskonzept: dass wir auf Niederschwelligkeit bauen. Das heißt, nicht die Menschen kommen zu den Bubales, sondern, die Bubales kommen zu den Menschen. Shlomit Tripp: Theaterpuppen öffnen Herzen und sind ein wunderbares Werkzeug für die zwischenmenschliche Kommunikation. Nicht nur bei Kindern, auch bei Erwachsenen. In Israel gibt es schon längst ein ganzes Puppentheaterzentrum inklusive Museum, aber auch in Deutschland ist die pädagogische und therapeutische Wirkung von Theaterpuppen inzwischen bekannt. Puppentheater ist eine Kunstform, die positive Gefühle hervorruft, und sogar ältere Menschen werden in einer Bubales-Vorstellung wieder zu Kindern. Wir mahnen niemanden, machen keine „Erhobene-Zeigefinger-Pädagogik“, sondern versuchen möglichst schöne, leichte Themen auszuwählen, bei denen die Menschen Spaß haben und Freude daran, etwas über die jüdische Kultur zu lernen. Shlomit Tripp: Wenn man Puppentheater hört, dann denkt man an Kultur für sehr kleine Kinder, was meistens gar nicht der Fall ist. Wir empfehlen unsere Stücke ab fünf Jahren. Wenn Geschwisterkinder dazukommen, die etwas jünger sind, ist das kein Problem. Aber wenn man von den Stücken wirklich etwas haben will, muss man schon mindestens fünf Jahre alt sein. Aufwärts gibt es keine Grenzen. Wir haben hier in Berlin einen Seniorenfanclub, die kommen mit ihren Rollatoren zu jeder Vorstellung angerollt. Und auch was die Nationalitäten oder die Religionsangehörigkeit betrifft, gibt es keine Grenzen. Es ist ein super diverses Publikum und da gibt es dann manchmal Situationen, die ich hinter meinem Vorhang beobachten kann und mir dann sage: „Ja, genau das wollte ich erreichen!“ Wenn zum Beispiel eine orthodoxe jüdische Familie mit Kippa und Schläfenlocken und allem drum und dran, neben einer sehr religiösen muslimischen Familie, wo die Mutter Kopftuch und der Vater einen Bart hat – so wie der jüdische Vater übrigens auch einen Bart hat – ja, wenn die alle da mit ihren Kindern nebeneinander sitzen und lachen und klatschen und sich dann noch gegenseitig anschauen, zunicken dieses Erlebnis miteinander teilen … das ist etwas Wunderbares. Shlomit Tripp: Ja, wie lässt sich die langfristige Wirkung eines Theaterstücks messen, das im Grunde von Ort zu Ort tingelt und diese Menschen nicht so schnell wiedersieht? Aber tatsächlich habe ich eine Geschichte, die mir gezeigt hat, welche langfristige Wirkung die Bubales haben können: Ich arbeite im Jüdischen Museum Berlin und vor einigen Jahren kamen zwei Mädchen im Teenageralter vorbei, beide arabisch- oder türkischstämmig, genau weiß ich es nicht. Sie kamen in Begleitung ihrer Lehrerin und sollten mir als Jüdin Fragen stellen. Und die beiden Mädchen, tief in ihrer Pubertät, wirkten ziemlich schlecht gelaunt und ratterten ihre Fragen eigentlich sehr mechanisch runter. Man hatte das Gefühl, die müssen jetzt gerade ihre Hausaufgaben erledigen. Doch dann kam eine Stelle im Gespräch, als sie mich nach Festen fragten und ich über Chanukka sprach ¬– da leuchteten plötzlich die Augen von dem einen Mädchen auf und sie meinte: „Chanukka, das kenne ich! Als ich jünger war, war ich mal in einem Puppentheaterstück und da hat man über Chanukka erzählt!“ Ich meinte zu ihr: „Waren das die Bubales?“ Und sie: „Ja, richtig, die Bubales!“ Und da haben ihre Augen wieder geleuchtet und ich sagte: „Ich bin die von den Bubales. Ich habe dieses Puppentheater gemacht.“ Und sie: „Was? Wirklich?!“ Und danach war das Gespräch plötzlich völlig anders. Auf einmal hatte sie richtig Lust, die Fragen zu stellen, es war ein Bezug da. Und dabei darf man nicht vergessen: Dieses Mädchen war ungefähr sechs Jahre alt, als sie die Bubales gesehen hat. Und als sie vor mir saß, war sie vielleicht schon 13 würde ich schätzen – also sieben Jahre später. Und das war ihre Reaktion: das Leuchten in ihren Augen, sieben Jahre später! Das hat mir gezeigt: Das hat auch eine lange Wirkung.Deutsche Fernsehlotterie: Was ist das Besondere daran, die Themen, die Sie in Ihren Stücken behandeln, über Puppen zu erzählen?
Deutsche Fernsehlotterie: Sie sprechen davon, dass Puppen viele unterschiedliche Menschen erreichen können – auch, was das Alter angeht. Wie sieht Ihr Publikum aus? Und wie reagieren die Zuschauenden auf Ihre Geschichten?
Deutsche Fernsehlotterie: Welche langfristigen Wirkungen hat der Theaterbesuch für die Zuschauenden? Haben Sie dazu Rückmeldungen bekommen?
1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
In diesem Jahr feiern wir 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dies nehmen wir zum Anlass, um an unser Themenspecial aus dem vergangenen Jahr anzuknüpfen. Damals haben wir u.a. das Begegnungsprojekt „Meet a Jew“ vorgestellt und über jüdische Traditionen und Feste mit einer Bewohnerin des Jüdischen Seniorenheim Hannover gesprochen. Außerdem erklärte uns ein Rabbi, welche Bedeutung das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana hat.
Nun möchten wir diese Perspektiven durch weitere ergänzen: Laura Cazés, Leiterin der Abteilung für Kommunikation und Digitalisierung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), spricht im Interview über das Festjahr, die Bedeutung von Jugendbildungsaufenthalten für die Identitätsstärkung junger jüdischer Menschen, den Begriff „Zedaka“ (jüdisches Verständnis der Wohltätigkeit) und die Wiedergründung der ZWST vor 70 Jahren. Und im Interview mit Shlomit Tripp vom Jüdischen Museum Berlin erfährst du, wie es zur Gründung des ersten jüdischen Puppentheaters in Deutschland kam und wie dieses seit zehn Jahren bundesweit Brücken zwischen den Kulturen baut.
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