Die Moderatorin Sina Peschke traf Bodo Ramelow und Christian Kipper im Juli 2022 auf einen Espresso.
Der Thüringer Ministerpräsident hat bereits Ende 2021 in seiner Funktion als amtierender Bundesratspräsident die einjährige Schirmherrschaft sowohl über die Deutsche Fernsehlotterie als auch die Stiftung Deutsches Hilfswerk übernommen.

Herr Ministerpräsident, über Glück zu sprechen gehört nicht zu Ihrem Tagesgeschäft, oder?
„An Tagen wie heute schon umso weniger, weil ich gerade Kabinettssitzung hatte, bei der es leider um sehr bedrückende Themen ging. Da ist das Nachdenken über Glück schon etwas Schönes. Wenn man die Realität zurzeit anschaut, erkennt man, dass einiges an heftigen Dingen auf uns zukommt. Ich hoffe, dass wir neben unseren politischen Anstrengungen, die wir tagtäglich unternehmen, auch eine Portion Glück haben und dass vieles davon, was mir heute durch den Kopf gegangen ist, nicht in diesem Maße eintritt.“
Wann haben Sie zum letzten Mal zu sich selbst gesagt: Mensch, heute hast Du aber Glück gehabt?
„Ich habe erst vor zwei Tagen eine Situation erlebt, in der sich unser Hund, der mittlerweile 15 Jahre alt und nicht mehr der Fitteste ist, beim Spaziergang am See an einem Ast festgebissen hat. Ich hatte den Eindruck, dass er gleich ertrinkt und mir ging durch den Kopf: ‚Jetzt muss er aber Glück haben, dass er da aus der Nummer raus kommt‘. Oder ich hätte das Pech gehabt, ganz schnell hinterher springen zu müssen. Aber in der Sekunde, als mir das durch den Kopf raste, kam mein Attila wieder ans Ufer. Er sah zwar etwas geschunden aus, doch wir beide haben Glück gehabt.“
Wie schätzen Sie sich selbst ein? Sind Sie schnell glücklich zu machen, oder sind Sie ein schwerer Fall?
„Ein besonders schwerer Fall bin ich nicht. Ich habe in der Vergangenheit schon bittere Situationen erlebt. Beispielsweise wenn der eigene Sohn zu sterben droht und sich dann die Frage stellt: Kann man ihn retten? Das sind Situationen, in denen man Entscheidungen treffen muss, aber nicht weiß, ob der liebe Gott das genauso sieht. Wenn ich jetzt mit meinem Sohn ein ganzes Wochenende verleben kann, dann macht mich das sehr glücklich.“
Herr Ramelow, Sie sind in armen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater ist gestorben, da waren sie 11 Jahre alt und Ihre Mutter musste 4 Kinder allein versorgen. Hat Sie das für Ihr Leben dankbarer gemacht?
„Ja absolut! Meine persönlichen Erfahrungen haben mir gezeigt, dass die Abwesenheit von materiellen Gütern nicht in jedem Fall eine Katastrophe ist. Dennoch sind sie ein Hilfsmittel, um bestimmte Dinge erreichen zu können. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn heute ein Kind unter schwierigen sozialen Bedingungen groß wird, sehe ich meist alleinerziehende Mütter, die sehr auf sich gestellt sind und gleichzeitig ganz viel Kraft in ihr Kind investieren. Aber wenn dann die Frage im Raum steht: Kann das Kind mit zur Klassenfahrt oder hat es die Klamotten, die es braucht oder hat es sie nicht, dann macht mich das traurig. Derartige Situationen empfinde ich als sehr bitter.“
Welchen Berufswunsch hatten Sie als kleiner Junge?
„Lokführer werden!“
Herr Ramelow, Sie waren ja schulisch kein Selbstläufer. Zum Glück war es so, dass bei Ihnen recht frühzeitig Legasthenie diagnostiziert wurde?
„Frühzeitig geschah das leider nicht. Ich habe die komplette gesetzliche Schulzeit durchlaufen, ohne dass die Krankheit identifiziert wurde. Ich habe die Schule mit 14 Jahren beendet und stand da mit meinem Elend. Ich wusste schlicht nicht, warum ich nicht richtig schreiben konnte. Ich habe dann eine Ausbildung bei Karstadt begonnen und diese auch exzellent abgeschlossen. Doch es stand immer die Vermutung im Raum: Er ist hochintelligent, aber stink-faul. Alles wurde damals mangelndem Fleiß und nie der Legasthenie zugeordnet. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, wusste aber selbst nicht den Grund für meine Situation. […] Erst nachdem ich mich nach Abschluss meiner Ausbildung für den zweiten Bildungsweg entschied, hatte ich das Glück, auf eine Lehrerin zu treffen, der ich mich anvertrauen konnte und die mich direkt an den Schulpsychologen vermittelt hat. Seine Diagnose ‚Legasthenie‘ war für mich ein Stück Glück. Es fiel regelrecht ein Bleimantel von mir ab, da ich mich beispielsweise nicht mehr schämen musste, ob viel mit v oder f geschrieben wird.“
Man hört immer wieder, wie glücklich Sie sind, wenn Sie nach Hause fahren können. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie Sie dann vielleicht an einem Samstagabend mal nichts vorhaben, die Würstchen auf den Grill schmeißen und sagen: Mensch, ist das schön heute.
„Ja, oder ich gehe mit den Würstchen runter ins Dorf, um sie in Gemeinschaft zu essen. Oder ich besuche die Feuerwehr bei ihrem Feuerwehrfest oder ihrem Ehrenamtstreffen. Mit solchen gemeinschaftlichen Ereignissen geht auch ein glückliches Gefühl einher.“
Herr Ministerpräsident, ich würde Sie gerne noch einmal hinter dem Ladentisch bei Karstadt erleben.
„Sowas erlaube ich mir tatsächlich ab und zu – wenn auch nicht direkt bei Karstadt. Durch die vielfältigen Termine als Ministerpräsident hab ich immer einmal die Gelegenheit, anzupacken und dann stelle ich mich auch gerne noch einmal hinter die Theke. Zum Beispiel habe ich erst vor kurzem zur Verblüffung aller Anwesenden bei einer Veranstaltung ein Wildschwein küchenfertig gemacht. Ich habe mir die Schürze umgebunden, es abgezogen, abgeschwartet und dann zerlegt. Aber ich kann Ihnen auch Blutwurst machen. Die Menschen sind in solchen Situationen immer ganz verwundert, dass ich so etwas beherrsche. Doch wenn man auf dem Dorf großgeworden ist, ist das Teil des normalen Lebens.“
Was ist für Sie das Besondere an Deutschlands traditionsreichster Soziallotterie?
„Der große Pluspunkt der Deutschen Fernsehlotterie ist, dass sie über viele unterschiedliche Förderansätze verfügt, die sie auch auf ganz unkonventionelle Art verfolgt. Dieser Weg bleibt uns in der Politik aufgrund unseres engen Korsetts bei der Frage nach finanziellen Förderungen leider oftmals versagt. […] Deswegen sage ich, es ist wirklich gut angelegtes Geld, wenn sich Menschen für den Kauf eines Loses entscheiden. Und wer unbedingt auf das Wacken Open Air möchte, dem sei jetzt das Wacken-Jahreslos empfohlen.“
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Bildergalerie zum Interview
So sah es hinter den Kulissen aus